In den Jahren 2019 bis 2021 arbeitete die Große Koalition an einer Förderung für Presseunternehmen in Deutschland. Heikel war das Vorhaben von Anfang an, am Ende wurde es für das damalige Regierungsbündnis aus Union und SPD zu einem Fiasko. Der Bundesrechnungshof zerriss das Förderkonzept, das Online-Medium Krautreporter drohte mit Verfassungsbeschwerde und selbst die Zeitungsverleger, für die das Geld gedacht war, wollten es am Ende nicht mehr nehmen.
Heute können wir dank umfangreicher interner Dokumente aus dem damaligen Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) erstmals im Detail nachvollziehen, wie kopflos die GroKo bei dem Vorhaben agierte. Für diese Recherche haben wir zahlreiche E-Mails, Entscheidungsvorlagen und Gesprächsnotizen aus den Jahren 2020 und 2021 ausgewertet. Wir haben die Dokumente auf eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz über FragDenStaat erhalten und veröffentlichen die Dateien dort in Gänze (Übersicht).
„Wir tun alles, um die Belange der Verlagsbranche so gut wie möglich zu berücksichtigen“, heißt es in einem bislang unveröffentlichten Brief eines Staatssekretärs an einen Verlegerverband. Genutzt hat es am Ende nichts. Die Akten zeigen eindrucksvoll, wie groß der Einfluss der Verlagslobbyisten auf die Bundesregierung in der Sache war – und wieso das Vorhaben trotzdem scheiterte.
Wir haben die Dokumente mit dem Journalismusforscher Christopher Buschow von der Universität Weimar geteilt und ihn um eine Einschätzung gebeten. Sein Fazit: „Die Dokumente zeigen in ungewöhnlicher Deutlichkeit die wunderlichen Wirrungen, ministeriellen Verrenkungen und Zufälligkeiten, durch welche diese Förderung zustande kam.“ Das Scheitern der Großen Koalition unterstreiche zudem, dass eine funktionstüchtige Journalismusförderung nicht das Ergebnis von Hauruck-Aktionen sein könne.
Der Griff nach den Millionen
Man kann die Geschichte dieses Scheiterns nicht erzählen, ohne ein wenig auszuholen. Es ist September 2019, der Branchenverband BDZV lädt zu seinem jährlichen Zeitungskongress nach Berlin. Die Abkürzung BDZV stand die längste Zeit für Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, seit neuestem steht das D für Digitalpublisher. Trotzdem verdienen noch immer die meisten Mitgliedsunternehmen ihr Geld überwiegend mit gedrucktem Papier. Und genau für diese Unternehmen hat der Präsident des Verbandes eine gute Nachricht dabei.
Er sei zuversichtlich, dass der Staat bald die Zustellung von Zeitungen finanziell unterstützen werde, verkündet Mathias Döpfner auf dem Kongress. Die Branche befindet sich seit Jahren im Krisenmodus. Die Abonnent:innen gedruckter Zeitungen sterben weg, analoge Werbeeinnahmen schrumpfen und mit Online-Werbung hat die Branche zu lange auf das falsche Pferd gesetzt. Erst langsam entwickelt sie andere tragfähige digitale Geschäftsmodelle.
In der Not ist man wenig wählerisch, von wem man Zuschüsse bekommt. Als der große Werbe-Konkurrent Google 2016 beginnt, Millionengeschenke an die Presse zu verteilen, halten viele die Hand auf. Döpfner ist damals einer der wenigen, der mit seinem Springer-Konzern lautstark „Nein, Danke“ sagt. Anders sieht es wohl bei staatlicher Förderung aus – jedenfalls dann, wenn nicht der Journalismus direkt gefördert wird, sondern nur die Zustellung gedruckter Presse.
Staatliche Subventionen für die vierte Gewalt, das ist ein heikles Thema. Döpfner betont, dass Staatsferne für die Medien unverhandelbar sei. Deshalb haben sich die Verlage und die GroKo auf den Modus einer Zustellförderung geeinigt. Daran gibt es von Anfang an Kritik, zum Beispiel weil reine Digitalpublisher leer ausgehen. Doch beim Thema Zustellung drückt den printlastigen Unternehmen der Schuh schon länger. Im Jahr 2018 lief eine mehrjährige Absenkung des Mindestlohns für Zusteller:innen aus. Die Kosten steigen, gedruckte Presseerzeugnisse auszuliefern werde immer unwirtschaftlicher, so die Branche.
Ein merkwürdiges Gefeilsche beginnt
Mathias Döpfners Optimismus kommt nicht von ungefähr. Schon wenige Wochen nach dem Zeitungskongress, am 14. November 2019, entscheidet der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages in letzter Minute für eine „Förderung der Zusteller von Abonnementzeitungen und Anzeigenblättern“. Allerdings stellt die GroKo dafür nur 40 Millionen Euro bereit. Viel zu wenig, findet Döpfner. Eigentlich waren knapp 100 Millionen Euro geplant, doch „auf Betreiben der CDU/CSU-Fraktion“ sei der Betrag erheblich gekürz worden, heißt es in einer Gesprächsvorbereitung des Wirtschaftsministeriums vom 19. Februar.
Während der Zeitungsverlegerpräsident ankündigt, sich für eine Aufstockung der Mittel einzusetzen, beginnt in der Bundesregierung ein merkwürdiges Gefeilsche. Die von uns veröffentlichten Akten zeigen: Kein Ministerium scheint das heikle Projekt einer staatlichen Förderung privater Medien umsetzen zu wollen. Die Sozialdemokraten hatten das Vorhaben ursprünglich vorangetrieben, eigentlich sollte die Branche durch eine Senkung des Rentenversicherungsbeitrages für die Zustellunternehmen entlastet werden. Das Geld für die Förderung hat der Bundestag deshalb im Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) eingestellt.
Für eine direkte Zustellförderung, wie sie der Bundestag nun beschlossen hat, fühlt sich das Ministerium von SPD-Minister Hubertus Heil aber weder zuständig noch kompetent. BMAS-Staatssekretärin Leonie Gebers wendet sich mit einem Brief an ihren Kollegen im BMWi, Staatssekretär Ulrich Nußbaum. „Da es sich nicht um eine sozialrechtliche Maßnahme oder um die Bereitstellung sozialpolitischer Hilfen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer handelt, verfügt das BMAS weder über die erforderliche Verwaltungskompetenz noch über eine geeignete Infrastruktur zur alleinigen Umsetzung eines solchen Förderprogramms.“
In anderen Worten: Das Arbeitsministerium will das Vorhaben loswerden. Entweder an das Wirtschaftsministerium von Peter Altmaier oder an die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters. Doch die beiden wollen das Projekt auch nicht. Nach längerem hin und her einigt man sich auf eine interministerielle Arbeitsgruppe. Die drei Häuser müssen das Förderkonzept gemeinsam erarbeiten.
„Die Dokumente zeigen deutlich, dass das Thema Presseförderung schon im Jahr 2020 niemand wirklich angehen wollte“, kommentiert Medienökonom Christopher Buschow das Gefeilsche zwischen den Ministerien. „Wie eine heiße Kartoffel wurde die Verantwortung für das Vorhaben zwischen den Häusern hin und her gereicht.“
Unter Druck
Die Akten zeigen, dass die Verlegerverbände von Beginn an versuchen, massiven Einfluss auf die Ausgestaltung der Förderungen zu nehmen. Neben dem BDZV ist auch ein anderer Branchenverband sehr aktiv, der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger. Später dann auch die Lobbyorganisation der Anzeigenblätter, der Bundesverband kostenloser Wochenzeitungen. In Schreiben, Telefonaten und persönlichen Gesprächen machen sie Druck, dass das Geld schnell fließt. Und vor allem: Mehr Geld.
„Wenn es keine ausreichende Förderung geben sollte und die Entwicklung so weiterläuft wie bisher, dann werden im Jahr 2025 rund 40 % der deutschen Gemeinden überwiegend nicht mehr betriebswirtschaftlich Konditionen mit gedruckten Tageszeitungen beliefert werden können“, heißt es in einer vom BDZV beauftragten Studie der Unternehmensberatung Schickler, die man Altmaier persönlich übersendet. Gerne werde man die Unterlagen „den maßgeblichen Entscheidungsträgern im Deutschen Bundestag begleitend zum entsprechenden Förderantrag zur Verfügung stellen“.
Dann bricht Corona aus und mit der Pandemie erhalten die Verlage ein überzeugendes Argument für ihre Sache. Für viele Unternehmen der Branche bedeuten die Lockdowns zwar einen Zuwachs an Leser:innen, aber einen Einbruch an Werbeeinnahmen. Wegen der unsicheren Zukunft fangen viele Unternehmen an zu sparen, und zwar besonders bei teurer Printwerbung. Während Google und Facebook in den Pandemiejahren Rekordeinnahmen mit Online-Werbung machen, schicken deutsche Verlage ihre Angestellten in Kurzarbeit.
Doch die Verlegerverbände können sich auf ihren guten Draht in die Politik verlassen. Zwischenzeitlich schaltet sich etwa der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusman von der CDU ein, wie die Akten zeigen. Er wendet sich an seinen Parteifreund Peter Altmaier, macht Druck in Sinne der niedersächsischen Verlage. Später gibt es eine ähnliche Intervention aus der sächsischen Staatskanzlei.
Viel Überzeugungsarbeit braucht es im BMWi allerdings ohnehin nicht: Es findet sich kaum ein Aktenvermerk, in dem die Beamten des Hauses nicht eindringlich wiedergeben, was sich die Lobby-Verbände wünschen. „BDZV erachtet die Förderhöhe als nahezu lächerlich“, heißt es da etwa in Bezug auf die 40 Millionen. Auch BMAS-Staatssekretärin Leonie Gerbers warnte laut einer Notiz des BMWi „dass der BDZV bei seiner ablehnenden Haltung gegenüber einer Förderung ‚ohne zielführende Förderhöhe‘ bleiben wird.“
Der Beitrag der Pandemie
Am 4. Juni 2020 beschließen die Staatssekretär:innen von BMAS und BMWi sowie der Amtschef der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, auf die Forderungen der Verlage einzugehen. Staatssekretärin Gerbers soll auf die haushaltspolitischen Sprecher von Union und SPD im Bundestag zugehen und ihnen vorschlagen, die Förderung zu erhöhen.
Auch im Poker um die Zuständigkeit könnte eine Lösung gefunden sein: Das BMAS schlägt das zum BMWi gehörende Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle für die Umsetzung der Förderung vor. Nach etwas Zögern lenkt das Wirtschaftsministerium irgendwann ein. Für einen Moment sieht es so aus, als könnten die Verlage das bekommen, was sie sich wünschen.
Und tatsächlich: Anfang Juli 2020 entscheiden die Haushaltspolitiker:innen der GroKo, dass die Förderung für die Verlagsbranche im Rahmen des Corona-Nachtragshaushaltes deutlich aufgestockt wird. Bis zu 220 Millionen Euro sollen nun bis Ende 2021 an die Branche ausgeschüttet werden. Aus der kleinen Zustellförderung mit 40 Millionen Euro wird eine große „Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens zur Förderung des Absatzes und der Verbreitung von Abonnementzeitungen“.
In den uns eingesehen Dokumenten war die Idee einer Digitalisierungsförderung bis zu diesem Zeitpunkt nur am Rande vorgekommen. Jetzt soll das Programm plötzlich die Branche bei der digitalen Transformation unterstützen. Wer beispielsweise in den Aufbau von Online-Shops oder Apps investiert, in digitale Bezahlsysteme, Datenprojekte oder die Schulung von Mitarbeiter:innen, soll hier einen ordentlichen Zuschuss erhalten.
Christopher Buschow, der selbst zum Thema Journalismusförderung forscht, zeigt sich irritiert, „dass der Haushaltstitel in einer derart bedeutenden Angelegenheit offenbar über Nacht zustande kam.“ Durch die Vorfestlegung auf die drei Gattungen Zeitungen, Zeitschriften und Anzeigenblätter hätten die Haushälter zudem den Möglichkeitsraum für das nun federführende Wirtschaftsministerium sehr stark eingeengt.
“Die Verlage wollten Cash ohne Auflagen“
Minister Peter Altmaier soll persönlich die Umwandlung „bei den Koalitionshaushältern vorangetrieben“ haben, so heißt es in einer Mail des zuständigen Abteilungsleiters im BMWi, Stefan Schnorr. Im Ministerium beginnt nun unter Hochdruck die Entwicklung eines konkreten Förderkonzepts. Auch der Bundestagsabgeordnete Thomas Jarzombek (CDU), der Beauftragte des Ministeriums für Digitalwirtschaft, soll eingebunden werden.
Die Sache hat nur einen Haken: Die Verlage sind mit dem neuen Zweck des Förderprogramms gar nicht glücklich. „Das ist nicht leicht“, schreibt deshalb auch Abteilungsleiter Schnorr Anfang Juli an seine Kolleg:innen. Im bisherigen Verfahren hätten die Verlage und Verbände immer vorgetragen, dass sie kein zweckgebundenes Geld für die digitale Transformation benötigen, denn das machten sie ohnehin schon. „Vereinfacht gesagt: die Verlage wollten bislang vor allem Cash ohne Auflagen“.
Das aber ist jetzt nicht mehr möglich. An den vom Bundestag festgelegten Förderzwecken lässt sich nichts ändern, das Wirtschaftsministerium kann jetzt nur noch ausführen. Im Oktober 2020 veröffentlicht es ein Förderkonzept, das die Grundlage für eine Förderrichtlinie darstellen soll. Die Zeit drängt. Das Bundesfinanzministerium (BMF) muss zustimmen, auch die EU-Kommission. Damit die Gelder noch im Jahr 2021 abgerufen werden können, muss die Richtlinie schnellstmöglich raus. Doch dazu wird es nie kommen.
Anfang 2021 übermittelt das Wirtschaftsministerium den Entwurf für eine Förderrichtlinie sowie ein Merkblatt zur Berechnung der Förderhöhe an das Finanzministerium, damals noch von Sozialdemokrat Olaf Scholz geführt. Vor allem eine Verkürzung der Antragsfristen ist heikel, das belegen mehrere Kommunikationsdokumente zwischen BMF und BMWi auf Staatssekretärsebene. Das Wirtschaftsministerium betont, die Verlagsförderung sei von der SPD und den von ihr gehaltenen Ministerien gewollt worden. Doch es nützt nichts, wieder geht Zeit ins Land.
Quadratur des Kreises
Die Verlagsverbände werden immer unzufriedener. Am 1. März 2021 informiert das BMWi sie schriftlich über den aktuellen Sachstand – und erntet als Antwort einen bösen Brief. „Der Richtlinienentwurf ist uns bis heute nicht zur Kenntnis gegeben worden“, schäumt darin der BDZV, der bislang an umfangreiche proaktive Kommunikation des Ministeriums gewöhnt war. „Wir halten es für schwierig, wenn eine Förderrichtlinie erstellt wird, ohne alle praxisrelevanten Details mit der Branche abzustimmen.“
Auch inhaltlich hat der Zeitungsverband einiges auszusetzen. Unter anderem seien die Antragsfristen so kurz, dass es für die Verlage kaum möglich sei, rechtzeitig Förderungen zu beantragen. Kritisch sieht die Branche zudem, dass Eigenleistungen und Leistungen von Tochterunternehmen nicht förderfähig sind, obwohl viele Verlage in den letzten Jahren bereits intensiv in eigene oder gemeinschaftliche Unternehmen oder eigene Einheiten für die Entwicklung von digitalen Produkten und IT-Dienstleistungen investiert hätten.
Das Wirtschaftsministerium versucht, für Verständnis zu werben. „Wir wollen kein Programm, das in der Branche nicht akzeptiert wird“, heißt es in einem Sprechzettel zur Vorbereitung eines Gesprächs mit den Verbänden. „Wir können uns allerdings nur innerhalb der Grenzen bewegen, die uns HH-Gesetzgeber, Haushaltsrecht und die Regeln der praktischen Umsetzbarkeit vorgeben.“ HH-Gesetzgeber, das steht für Haushaltsgesetzgeber, also den Bundestag.
Mehrere Dokumente zeugen davon, dass das Ministerium diverse Möglichkeiten erwogen hat, um die Wünsche der Verlage zu erfüllen. Doch es wäre die Quadratur des Kreises. Alle Ideen werden wieder verworfen, weil sie rechtlich nicht umsetzbar sind. Auch eine Idee von Peter Altmaier, einfach im Jahr 2021 Vorschüsse für Projekte auszuzahlen, die dann 2022 umgesetzt und abgerechnet werden, lässt sich nicht realisieren.
Tatsächlich äußert der BDZV sogar Verständnis für die schwierige Lage des Ministeriums angesichts der engen Vorgaben des Bundestages. Und doch droht der Verband in einem Telefonat: „Sollte bei diesen Punkten keine Lösung möglich sein, würde der BDZV eher von einer Förderung absehen wollen und dies auch öffentlich so kommunizieren“, so gibt es ein Mitarbeiter des Ministeriums in einer Mail an Abteilungsleiter Stefan Schnorr wieder.
Ein letzter Sargnagel
Der letzten Sargnagel im Projekt ist dann die Androhung einer Verfassungsklage durch das Online-Medium Krautreporter. Schon Ende 2020 hatte eine Reihe von ausschließlich digitalen Medien sowie das Forum Gemeinnütziger Journalismus die Fördervorhaben der Bundesregierung kritisiert. Unter anderem deshalb, weil sie ausschließlich auf Print-Unternehmen abzielt und diese somit bevorteilt.
Auch netzpolitik.org ist Mitglied des Forums Gemeinnütziger Journalismus. Einen offenen Brief des Forums zur Presseförderung hatte netzpolitik.org-Gründer Markus Beckedahl unterzeichnet. Krautreporter bemängelt zudem das Fehlen einer expliziten gesetzlichen Grundlage für die Förderung und sieht darin einen Verstoß gegen verfassungsrechtliche Vorgaben.
Es ist inzwischen Ende März 2021. Dass das Projekt damit tot ist, dürfte eigentlich allen klar sein. Trotzdem schreibt Staatssekretär Nußbaum am 7. April an den BDZV: „Ich möchte Ihnen nochmals versichern, dass uns die Schwierigkeit des Fördervorhabens und der engen zeitlichen Taktung sehr bewusst ist. Wir tun alles, um die Belange der Verlagsbranche so gut wie möglich zu berücksichtigen.“
Ein letzter Rettungsversuch erfolgt Ende April 2021. Union und SPD versuchen im Haushaltsausschuss des Bundestages, das Programm doch noch in letzter Sekunde umzuwidmen. Statt einer Transformationsförderung soll es nun doch eine „coronabedingte Zustellförderung“ werden. Das hatte den Akten zufolge insbesondere der Bundesverband der kostenlosen Wochenzeitungen immer wieder vorgeschlagen. Doch auch dieses Vorhaben scheitert. Am 23. April beschließt der Bundestag den Nachtragshaushalt 2021 ohne Änderungen am Förderansatz.
Warnung vor erneutem Schnellschuss
Nur vier Tage später verkündet das Wirtschaftsministerium das Aus für das Vorhaben: „Das BMWi hat nach intensiver Prüfung der verfassungs-, haushalts- und beihilferechtlichen Umstände und nach sorgfältiger Abwägung aller betroffenen Interessen entschieden, das Programm zur Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens nicht weiterzuverfolgen.“
Es ist das Ende einer beispiellosen Irrfahrt. So scheint es jedenfalls.
Dass es nur das vorläufige Ende sein könnte, davon zeugen jüngste Äußerungen des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil. Auf dem Zeitungskongress des BDZV im September 2023 kündigt er an, das Thema Zustellförderung nochmal angehen zu wollen. Seine Partei werde bei den diesjährigen Haushaltsverhandlungen darauf drängen. Auch Oppositionsführer Friedrich Merz von der CDU zeigte sich dafür offen.
Spätestens in der kommenden Woche will der Bundestag den Haushalt für 2024 beschließen. Bislang findet sich im Entwurf kein Posten für die Presseförderung. Doch es ist nicht ausgeschlossen, dass sich das in letzter Minute ändert.
Angesichts des Fiaskos beim letzten Versuch warnt Medienökonom Christopher Buschow vor einem erneuten Schnellschuss. „Vor dem Hintergrund dessen, was wir aus den Akten erfahren konnten, erscheint es mir besonders wichtig, dass eine Journalismusförderung nicht über Nacht im Bundeshaushalt landet – schon gar nicht mit einem stark einschränkenden Zuschnitt, der weder öffentlich diskutiert noch in Bezug auf seine Folgen durchdacht wurde.“ Die Ampel-Koalition wäre gut beraten, so Buschow, bei der Haushaltsbereinigung in dieser Woche nicht in einer „Hauruck-Aktion“ einen entsprechenden Titel einzuführen.
Liste der befreiten Dokumente
- 2020: diverse Gesprächsvorbereitungen für Staatssekretär Dr. Nußbaum, u.a Gespräche mit BMAS und BVDA
- 2020 Juni: Gesprächsvorbereitung für Staatssekretär Dr. Nußbaum mit Frau Staatssekretärin BMAS und BKM sowie Ergebnisbericht (Fachreferat in Vertretung für St N)
- 2020 Juli: Antwort Bundeswirtschaftsminister Altmaier an Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung Dr. Althusmann
- 2020 Juli: Entscheidungsvorlage Bundeswirtschaftsminister Altmaier „Erste Überlegungen zu einem Umsetzungskonzept für den neuen Haushaltstitel „Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens
- 2020 August: Einladung und Teilnehmerliste zu Verbändegespräch im BMWi
- 2020 Oktober: Gesprächsvorbereitung für Parlamentarische Staatssekretärin Winkelmeier-Becker mit Sächsischem Staatsminister und MdB der CDU-Fraktion und sächsischen Verlegern (N.N.)
- 2020 Dezember: Antwort Abteilungsleiter L auf offenen Brief FGJ Verlagsförderung
- 2021 März: Gesprächsvorbereitung für Abteilungsleitung VI mit BVDA, BDZV, VDZ und VDL
- 2021 März bis Juni: Stellungnahme BMF zu BMWi Einwilligungsbitte gemäß VV Nr. 15.2 zu § 44 BHO
- 2021 März bis Juni: Organisationserlass des BMWi zur Aufgabenübertragung an BAFA
- 2021 März: Gesprächsvorbereitung für Staatssekretär Dr. Nußbaum mit Staatssekretär BMF
- 2021 April: Antwort Staatssekretär Dr. Nußbaum an BDZV
- 2021 April: Entscheidungsvorlage an Bundeswirtschaftsminister Altmaier „Einstellung des Programms zur Verlagsförderung“
- 2021 Juni: Aufhebung des Organisationserlasses an BAFA
Die Dokumente bei FragDenStaat als ZIP-Datei oder einzeln herunterladen.
Oder direkt hier lesen:
„Wenn es keine ausreichende Förderung geben sollte und die Entwicklung so weiterläuft wie bisher, dann werden im Jahr 2025 rund 40 % der deutschen Gemeinden überwiegend nicht mehr betriebswirtschaftlich Konditionen mit gedruckten Tageszeitungen beliefert werden können“
Dann ist das halt so. Die Post kommt auf dem Land auch nur noch 4 mal die Woche. Unter Klima-Gesichtpunkten kann man es als CO2-Einsparung betrachten. Wenn man helfen will kann man den Verlagen ja eine standardisierte Schnittstellen-Entwicklung zur digitalen Auslieferung per datensparsamer App fördern. Ach nee, moment, das wollen die Verlage sicher nicht, denen geht es ja im Digitalen nur jeweils um sich selbst und ums maximale Datenabgreifen. Wie dumm von mir an eine Lösung für die Menschen zu denken und nicht für die Verlage! Bitte vielmals um Entschuldigung.
Diese Zeitungen gehören mit wenigen Ausnahmen (TAZ, kleine Regionalblätter) sehr reichen Familien. Federt die sozialen Folgen für Zusteller besser ab, der Rest sorgt für sich selbst.
Mit irgendeiner Abfederung würde ich nicht rechnen. Beleg 1: Als in der Corona-Anzeigenkrise verschiedene Anzeigenblätter ihr Erscheinen eingestellt haben und die Zusteller entlassen haben, passierte weiter nichts. Beleg 2: Wie im Artikel erwähnt, war die ursprüngliche Vorstellung der SPD (!) für die Förderung der Verlage, den Arbeitgeberanteil der Rentenbeiträge für die Zusteller zu dritteln – und damit natürlich auch die späteren Rentenansprüche.
Die Gesellschaft braucht Journalismus und gerade auch Lokaljournalismus.
Die Gesellschaft braucht keine Verlage jenseits dessen, was der Markt überleben lässt.
Aber Politiker werden von Verlagen belohnt, nicht von Journalismus.
> getrieben von Mathias Döpfner und der Lobby der Verlage. Die Ampel könnte nun die gleichen Fehler wiederholen.
Es war Döpfner der verlangte: „die FDP stärken“ mit dem Ziel die Ampel lahmzulegen, um den Weg für die Konserven zu planieren.
Währenddessen auf dem Planeten Erde: Dieselben deutschen Medien, die Geld von der Bundesregierung haben wollen, reagieren empört auf die Nachricht, dass ein Journalist Geld von Russland bekommen haben soll. Ein Einfluss auf die Berichterstattung ist nicht belegt.
Egal: „Die ideologische Nähe des Reporters hat Moskau sehr gut bezahlt. Die SPIEGEL-Recherche.“
Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.
Eine Infrastrukturförderung für die Zustellung von Zeitungen ist aber weder Dasselbe, noch das Gleiche wie diktatorenfreundliche Berichterstattung gegen Bezahlung.
> diktatorenfreundliche Berichterstattung gegen Bezahlung
Zugegeben, der Anschein ist unappetitlich. Doch war es ein Schreiben im Auftrag, oder war es Förderung eines Projekts, bei dem der Autor freie Hand behielt?
Bei aller Neigung zur Empörung, Förderung von Autoren ist noch nicht zu beanstanden. Wohl aber unversteuerte Einnahmen auf einem Nummernkonto. Das Geld wurde übrigens in drei jährlichen Tranchen zu je 200.000 überwiesen. Die Finanzverwaltung dürfte indes in diesem wie in anderen Fällen bereits tätig geworden zu sein.
Auf Wikipedia sind unter
https://de.wikipedia.org/wiki/Hubert_Seipel
drei YT-Videos verlinkt. Selbst unter kritischer Herangehensweise und unter Kenntnis des Geldtransfers konnte ich in diesen Videos keine auftragsgesteuerten Äußerungen von Seipel erkennen.
Wenn zwei das Gleiche tun …
Also die Förderung einer Branche kann man richtig finden oder nicht.
Wenn ein Journalist eine Doku über Putin erstellt und dabei heimlich (und vermutlich unversteuert) 600 000 € erhält, hat das damit was genau zu tun?
Das es um Geld geht? Wow!
Ganz platte Gleichsetzung. Wen soll das überzeugen?